Tora no Maki? was ist das?

 

 Vielleicht hat sich der ein oder andere schon mal gefragt, was eigentlich der Tiger in dem Kreis zu bedeuten hat, der auf unserem Dojo-Logo abgebildet ist. 

Ob im Verein, auf Lehrgängen oder auf Wettkämpfen, immer wieder begegnet man diesem Zeichen in allen möglichen Variationen, als Aufnäher, Aufkleber, als Anhänger von Halsketten oder sogar als Tattoos. Und immer wieder wird damit eine ganz besondere Verbundenheit zu einer bestimmten Karatestilrichtung zum Ausdruck gebracht: dem SHOTOKAN-Karate.    
Aber nur den wenigsten dürfte eigentlich bekannt sein, dass der Tiger aus der Feder des japanischen Künstlers Hoan Kosugi stammt, dessen Signatur oben rechts zu erkennen ist. Kosugi war ein enger Freund und Schüler von Meister Gichin Funakoshi, der als Vater und Begründer des modernen Karate gilt. Da es zu jener Zeit noch keine schriftlichen Aufzeichnungen über Karate gab, versuchte er Funakoshi unentwegt dazu zu überreden, ein Karate-Lehrbuch zu schreiben und versprach im Gegenzug, die künstlerische Gestaltung zu übernehmen. Im Japanischen wurden Schriften, die das gesammelte Wissen eines Meisters in einer bestimmten Kunst enthielten, üblicherweise als „Tora no Maki“ bezeichnet, was übersetzt „Tiger-Rolle“ bedeutet und worunter im übertragenen Sinne so viel wie „Meisterwerk“ zu verstehen sein dürfte. Hiervon offenbar inspiriert zeichnete Kosugi für die erste Ausgabe des 1935 veröffentlichten Karate-Lehrbuches von Funakoshi mit dem Titel „Karate-Do Kyohan“ jenen, in einen Kreis eingeschlossenen Tiger, der heute, nach über 70 Jahren zum Symbol für die weltweit am weitesten verbreitete Karatestilrichtung SHOTOKAN geworden ist. 

Der SHOTOKAN-Tiger symbolisiert aber nicht nur eine bestimmte Karatestilrichtung, sondern hat darüber hinaus noch einen tieferen, sich nicht unbedingt auf den ersten Blick erschließenden Sinn, welcher in folgendem Beitrag beschrieben wird und für das traditionelle Karate von zentraler Bedeutung ist:

KARATE – DO
Kampfkunst mit Philosophie

Der sportliche Wettkampf, obgleich spektakulär und publikumswirksam, stellt nur eine kleine Facette des Karate dar, denn nicht der Wettkampf, sondern das Training, die Auseinandersetzung mit den komplizierten und komplexen Bewegungsabläufen, das Ziel, nicht nur den Körper, sondern auch sich selbst zu beherrschen, steht im Vordergrund.   Immer wieder stellen die großen japanischen Karatelehrer den hohen erzieherischen Wert dieser Sportart heraus, wenn sie Karate als „Do“ unterrichtet wissen wollen. Der Begriff des „Do“ bedeutet hier soviel wie „Lebensweg“ oder „Weg zur Lebensgestaltung“. Karate steht, von seiner geschichtlichen Entwicklung her, in enger Beziehung zum Geist des Zen und ist beeinflusst vom Bushido, dem ritterlichen Ehrenkodex der Samurai. Ziel aller Kampfkünste der Samurai war es, den jeweiligen Gegner blitzschnell und möglichst in einer Aktion kampfunfähig zu machen. Diese Absicht liegt auch heute noch dem Karateunterricht zugrunde. Eine inhumane und destruktive Zielsetzung, welche unbedingt der Bindung an die sittliche Wertordnung einer reifen Persönlichkeit bedarf. Somit hat der Karateunterricht gleichzeitig die Aufgabe, den Schüler zum Bewusstwerden seiner Verantwortung zu erziehen und ihn zu lehren, die eigenen Emotionen unter Kontrolle zu halten. Stärke und Überlegenheit sollen sich in Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen äußern. Um aber Überheblichkeit und Hochmut zu vermeiden, muss der Karateschüler Höflichkeit, Bescheidenheit ja Demut lernen: als Zeichen seiner unbedingten Achtung gegenüber den Mitmenschen und als Beweis seiner Selbstbeherrschung.      Dieses kleine Bild, welches dem Emblem des Shotokan-Karate beinhaltet, verdeutlicht sehr gut die Ziele und Absichten des Karateunterrichtes. Dargestellt siehst du einen Tiger, der sich in einem Kreis befindet. Beiden Bildteilen, Tiger und Kreis, kommt eine besondere Bedeutung zu. Der Tiger verkörpert dabei das Animalische, die Wildheit, den Mut, unbändige Kampfeslust, urwüchsige Kraft und Entschlossenheit.    
 Wer siegreich kämpfen will, muss lernen wie ein Tiger zu kämpfen.   
Der Tiger aber ist nicht frei dargestellt, sondern in einem Kreis abgebildet. Der Kreis wiederum steht als Zeichen der Vernunft und des Geistes. 

 
Wer siegreich und ehrenvoll kämpfen will, der muss seine Emotionen kontrollieren und mit Vernunft kämpfen.
 
Der Kreis bändigt den Tiger. Die Vernunft und der menschliche Geist herrschen über die animalischen Kräfte, kontrollieren sie, um sie sich nutzbar machen zu können.